Immer wieder werde ich gefragt, was es mit Vitamin D auf sich hat. Ist es nun gut oder gefährlich? Auf welche Spiegel soll man es einstellen? Wie soll man es nehmen – täglich eine kleinere Dosis oder pro Woche einmal oder mehrmals eine hohe Dosis? Kann man Vitamin D über die Nahrung aufnehmen? Muss man es im Sommer, wenn man viel draußen ist, wieder absetzen? Und, und, und …
Erste feine Wahrheit: Auf all diese durchaus klugen und berechtigten Fragen gibt es selten eine klare Antwort, die für alle und jeden immer richtig ist. Es macht deswegen keinen Sinn, Artikel zu schreiben, in denen man „Deutschland“ pauschal eine angeblich richtige Dosis für alle empfiehlt.
Denn Vitamin D ist eine ganz persönliche Angelegenheit. Der Vitamin-D-Bedarf eines jeden Menschen ist unterschiedlich und von ganz vielen individuellen Faktoren abhängig. Es zeigen sich in der Praxis große Bedarfsunterschiede, unter anderem je nach Alter, Geschlecht, vorliegenden akuten und vor allem chronischen Krankheiten (Leber, Niere, Darm, …), Hauttyp (vor allen die Hautpigmentierung), Hautkrankheiten, Darmflora, intestinaler Fettresorption, Genetik (z. B. des Vitamin-D-Rezeptors), Sonnenexposition (wie lange, wie angezogen, wann draußen), Wohnort (Stadt, Meer, Berge) und Gebrauch von Sonnenschutzmitteln (ab Schutzfaktor 10 wird kein Vitamin D mehr in der Haut gebildet).
Das bedeutet, dass manche Menschen gesund – im Sinne der Vorbeugung durchaus gut – versorgt sind mit einer Erhaltungsdosis von 1000IE Vitamin D am Tag, aber andere brauchen bis zu 10.000IE Vitamin D täglich, um einen sinnvollen Spiegel von um die 50ng/ml (= 125 mmol/l) ganzjährig zu halten. Vitamin D lässt sich in Deutschland in den Dosen, in denen wir es brauchen, nicht über die Nahrung aufnehmen. In Deutschland muss man im Sommer auch die Vitamin-D-Therapie nicht absetzen, wenn man normal arbeitet bzw. nicht übermäßig stark gebräunt ist.
Zweite feine Wahrheit: Es gibt verschiedene Beweggründe und Situationen, Vitamin D zu nehmen und einzusetzen.
1. Situation: die präventive tägliche oder wöchentliche Erhaltungsdosis, die ganzjährig beim Gesunden einen sinnvollen Vitamin-D-Spiegel von um die 50ng/ml aufrechthält. Diese muss man über eine gewisse Zeit unter Therapie über wiederholte Messungen (3-4x über 2-3 Jahre) herausarbeiten!
2. Situation: Wenn jemand noch nie Vitamin D genommen hat, und erstmalig über eine Laborbestimmung ein Vitamin-D-Mangel von z. B. 10ng/ml diagnostiziert worden ist, wird anfangs mehr tägliches oder wöchentliches Vitamin D als die spätere Erhaltungsdosis benötigt, um überhaupt erst einmal in die Nähe des gewünschten Wertes von 30-50ng/ml zu kommen. Das kann bei manchen sogar eine initiale Dosis von 20.000IE über 2-3 Wochen bedeuten. Auch hier braucht es wiederholte Messungen und auch therapeutische Erfahrung, vor allem, wenn man mit hohen Dosen schnell einen guten Spiegel erreichen möchte. Man kann schon ein bisschen was falsch machen, wenn man keine Ahnung hat – weder von sich, seinem Stoffwechsel, seinen Werten und der Vitamin-D-Therapie.
Aber unterm Strich ist es noch schlimmer, gar kein Vitamin D zu sich zu nehmen, vor lauter Angst, etwas falsch zu machen. In Deutschland kann jeder, der hier lebt, schon vieles besser machen, wenn er/sie 1000IE oder im Winter auch 2000IE Vitamin D täglich einnimmt. Dann sollte man aber mal den Spiegel messen lassen, um zu sehen, was das überhaupt bringt! Wenn jemand höhere tägliche Dosierungen braucht, kann man auch auf eine wöchentliche Einnahme umsteigen. Ab einer Dosis von täglich 3000IE lassen sich der Einfachheit halber auch genauso gut 20.000IE-Kapseln einmal wöchentlich einnehmen; bei einem Bedarf von 4000IE täglich, gern auch 20.000IE alle 5 Tage usw. Von einer hohen monatlichen Gabe (z. B. 100.000IE/Monat statt ca. 3000IE/Tag) halte ich nichts. Man würde mit der natürlichen Quelle von Vitamin D, der Sonne, ja auch nicht so umgehen.
3. Situation: Es ist ein Unterschied, ob man Vitamin D präventiv oder kurativ nutzen möchte. Präventiv, also vorbeugend, Vitamin D zu nehmen IST sinnvoll. Darüber gibt es mittlerweile viele Untersuchungen. Es gilt als gesichert, dass es besser ist, einen Spiegel von mindestens über 30ng/ml (bis ca. 60ng/ml) zu haben, als lebenslang einen in Deutschland normalen Mangel-Spiegel von 10 – 20ng/ml!
Was man kurativ alles noch mit Vitamin D machen kann, also wo man Vitamin D vielleicht auch in unphysiologischen sehr hohen Dosen therapeutisch einsetzen kann, um Krankheiten zu behandeln, da gibt es noch sehr viele Fragen zu klären. Fakt ist, dass man in der Medizin oft unphysiologische Maßnahmen nützlich für kurze Zeit einsetzt, um etwas zu behandeln (macht man mit z. B. Sauna oder Bestrahlungen ja auch). Warum soll es mit Vitamin D nicht auch möglich sein, etwas Krankes wieder zurück in die Gesundheit zu bringen? Vor allem Autoimmunkrankheiten sind etwas, wo Vitamin D eine interessante modulierende Rolle spielen könnte. Dass Vitamin D bei entzündlichen Erkrankungen eine nützliche Rolle spielt, weiß man sicher seit der Entdeckung der heilenden Kraft der Sonne (und Vitamin D) auf die Haut-Tuberkulose (hierfür hat Niels Ryberg Finsen bereits 1903 den Nobelpreis für Medizin erhalten).
Dritte feine Wahrheit: Es wird viel gestritten über Vitamin D. Die Studienlage ist nicht eindeutig positiv. Immer wieder wird die therapeutische und präventive Wirkung von Vitamin D angezweifelt. Warum ist das so? Ein Grund ist sicherlich, dass es sehr schwierig ist, mit dem Thema „Vitamin D“, aber auch mit anderen lebensnotwendigen Vitaminen, gute Studien zu machen. Allein die Frage „Was macht oder hält gesund?“ ist viel schwieriger zu untersuchen, als die Frage, was jemanden, der todkrank ist, weniger schnell sterben lässt. Beim Tod ist der Endpunkt klar, aber beim gesunden Leben ist der Endpunkt unklar, weil auch die Definition von „gesund“ gar nicht konkret vorliegt und vorliegen kann. Bei den Studienteilnehmern wird immer gesagt, diese seien gesund. Aber mit den Daten von Gewicht, Blutdruck und normalem Zucker ist vieles noch gar nicht untersucht … Das bleibt also schwierig. Aber der zweite Grund, warum die Wirkung einer Vitamin-D-Therapie, gerade auch höherer Dosierungen, nicht immer funktioniert, ist folgender: Es gibt in unserem Stoffwechsel nicht ein, sondern ZWEI wirksame Formen von Vitamin D. Das, worüber immer gesprochen wird, und was die meisten meinen, wenn sie über Vitamin D sprechen, ist das 25-OH-Vitamin-D. Hierauf beziehen sich auch die oben genannten Spiegelempfehlungen. Das 25-OH-Vitamin-D entsteht in der Leber aus dem Vorstoff, den die Sonne in der Haut entstehen lässt, und das ist das „gute“ Vitamin D. Es hilft aus der Nahrung bzw. aus dem Darm die wichtigen Mineralien Calcium und Magnesium zu resorbieren und es hat die gewünschte antientzündliche Wirkung, nach der sich alle, die es therapeutisch einsetzen, sehnen. Dieses 25-OH-Vitamin-D ist auch ein Hormon, es bindet sich am Vitamin-D-Rezeptor und moduliert das Gute. Aber es ist komplexer. Dieses 25-OH-Vitamin-D wird in jeder Zelle, vor allem aber in den Nieren, weiter umgewandelt in das sogenannte aktive 1,25-OH-Vitamin-D.
Und dieses aktive 1,25-OH-Vitamin-D hat eine ganz andere Wirkung als das gute 25-OH-Vitamin-D, denn es holt sich das Calcium nicht aus dem Darm, sondern aus dem KNOCHEN! Und es hat eine eher pro-entzündliche Wirkung. Auch das 1,25-OH-Vitamin-D kann sich an den Vitamin-D-Rezeptor binden, hat dann aber auf Dauer und in hoher Konzentration eine schädliche Wirkung auf die Zelle, indem es die intrazelluläre Konzentration von Calcium in der Zelle erhöht und das ist nicht gut.
Es kommt also auf eine gute Balance dieser zwei D-Vitamine an und manche Menschen produzieren aus wenig 25D viel 1,25D und manche machen dies nicht. Dieser Umwandlungs- oder Aktivierungsprozess läuft in jedem von uns ganz unterschiedlich ab. Viele Faktoren beeinflussen diesen Umwandlungsprozess. Bor-Mangel zum Beispiel fördert die zu starke Umwandlung in ungünstiges 1,25D. Der Hauptgrund für eine starke Umwandlung in „zu viel“ 1,25D, gerade auch unter hoher D-Therapie ist ein hoher Calciumbedarf mit nicht genug Calcium in der Nahrung und im Darm. Oft muss deswegen bei einer Vitamin-D-Therapie auch begleitend Calcium und Magnesium substituiert werden, damit das gute 25D auch etwas im Darm angeboten bekommt, was es resorbieren kann, sonst wird es bei Calciumbedarf eben noch schneller in 1,25D umgewandelt.
Wenn jetzt jemand glaubt, dass das 1,25D „böse“ ist und man am besten gar nichts davon haben sollte, ist das auch wieder falsch. 1,25D ist lebensnotwenig, wie so vieles was, wenn es zu viel davon gibt, chronische Krankheiten unterstützt. Es ist ein lebensnotwendiger Stoff, der in dunklen hungrigen Zeiten dafür sorgt, dass uns das lebensnotwenige Calcium für unseren Säure-Basen-Haushalt nicht ausgeht. Immer muss der pH-Wert im Blut möglichst basisch (7,4) sein. Und dafür braucht es vor allem Calcium. Wenn es also kein Licht und kein Essen gibt, dann holt sich der Körper seine basischen Mineralien eben aus dem Knochen. Das ist der Knochen nämlich auch: ein lebenslanger Rucksack mit Basenpuffern! Deswegen sieht auch beim Gesunden 80-Jährigen der Knochen nicht mehr so aus, wie beim 25-Jährigen. Der Knochen entleert sich im Laufe unseres Lebens mehr und mehr ganz natürlich seiner Mineralien. Ja auch bei allen, die alles richtig machen, sieht der Knochen mit 80 nicht mehr so aus, wie mit 25. Wobei Sport im Freien, eine gesunde Ernährung mit vielen Pflanzen und grünem Gemüse und ggf. auch eine postmenopausale bioidentische Hormontherapie sicherlich dazu beitragen können, dass dieser Demineralisierungs-Prozess des Knochens im Alter langsamer abläuft.
Also zusammengefasst:
1. Alle haben in Deutschland einen Vitamin-D-Mangel (und übrigens meist auch Calcium und Magnesium). Jeder Mensch hat eine individuelle präventive Vitamin-D-Erhaltungsdosis und die muss mit einigen Messungen (im Sommer und im Winter) unter Therapie im Laufe von 2-3 Jahren herausgearbeitet werden.
2. Es gibt Situationen, wo versucht wird kurativ, also therapeutisch, über eine begrenzte Zeit mit höheren Dosierungen von Vitamin D, eine Krankheit zu behandeln. Auch hier gibt es keine pauschal richtige Dosis. Es braucht hierfür Erfahrung und zur Überwachung muss man im Labor regelmäßig mindestens ca. 10 Werte untersuchen, die alle mit dem Vitamin-D-Stoffwechsel eng zusammenhängen, um ungünstige Folgen schnell zu sehen und gegenzusteuern.
Und 3. Es gibt zwei Formen von Vitamin D, das 25-OH-D und das 1,25-OH-D. Ein zu hohes 1,25-OH-D unter Vitamin-D-Therapie ist nicht gut und spricht meist für einen extrazellulären Calciummangel. Durch die zusätzliche Gabe von Calcium, Magnesium und oft auch Bor und Vitamin K2, muss dann die Gabe höherer Dosen an Vitamin D (warum auch immer man es gibt) begleitet werden.
Also, wenn Sie das nächste Mal jemanden über Vitamin D schimpfen hören, fragen Sie am besten erst einmal nach, wovon genau er oder sie eigentlich spricht.