GHC TV, Anti-Aging – Der Einfluss der Genetik, 47 Minuten, Oktober 2018.
Müssen wir Angst vor unserer genetischen Veranlagung haben? Frau Dr. med. Kira Kubenz, Präventionsmedizinerin aus Hamburg, beantwortet diese Frage mit einem klaren „Nein“. Je mehr Wissen wir zu einem relativ frühen Zeitpunkt über unsere genetische Disposition haben, desto besser können wir vor allem altersbedingten Krankheiten durch spezifische Verhaltensänderung oder ggf. auch medikamentöse Einstellung vorbeugen. Um diese und weitere Fragen rund um unsere Gene geht es in dem Interview von German Healthcare TV mit Dr. med. Kira Kubenz (Ihre Gene, Hamburg), Prof. Dr. med. Omid Abri (MIC, Berlin) und mir.
Genetik und Epigenetik
Ich weiß, dass viele Menschen sich lieber nicht mit ihren Genen und damit ihrem gefühlt unausweichlichen Schicksal beschäftigen wollen. Mir geht es auch manchmal so, aber ich habe mich bewusst entschieden, dem Wissen den Zuschlag zu geben, auch wenn es manchmal schwer ist, komplexes Wissen mit ungewissem Ausgang auszuhalten. Es ist unsere Zeit, wir leben im Zeitalter der Information, der Daten. Diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten und dann beschäftige ich mich lieber mit diesen Daten und versuche, einen Nutzen im Hier und Jetzt aus ihnen zu ziehen. Wichtig ist zu verstehen, dass tatsächlich die genetische Disposition nicht allein über unser Leben entscheidet. Auch durch unser Verhalten können wir dazu beitragen, dass die Schalter, die die Gene an- oder ausschalten, möglichst lange in Richtung Gesundheit stehen bleiben. Wir können die Gene günstig beeinflussen, zum Beispiel durch gesunde Ernährung, Fasten, viel Bewegung, gutes Stressmanagement, Vermeidung von Übergewicht, nicht Rauchen und wenig Alkoholkonsum. Das nennt man Epigenetik. Auch medizinische Verfahren fallen hierunter, seien es ganzheitliche, alternative oder klassische.
Was ist zum aktuellen Zeitpunkt ein sinnvolles Vorgehen?
Vermutlich nicht eine ausgiebige genetische Untersuchung in einem Alter von 20 Jahren, dafür wissen wir noch zu wenig über das, was sicher aus der genetischen Veranlagung im Einzelfall wird. Aber so um die 50, wenn der IST-Zustand des Körpers der individuellen Genetik und Epigenetik (vor allem die Gewohnheiten spielen hier eine Rolle) ein konkretes Bild gibt, da kann für diejenigen, die etwas tun möchten, eine Bestandsaufnahme sinnvoll sein. Diese beinhaltet zuallererst eine Anamnese: wie man sich fühlt, was bisher schon geschehen ist, wie es in der Familie aussieht, woran nahe Familienmitglieder erkrankt sind, woran die Großeltern oder Eltern verstorben sind usw. Auch eigene Krankheiten bzw. Diagnosen werden berücksichtigt, die ggf. eine medikamentöse Therapie erfordern. Weiterhin wird über eine umfassende Laboranalyse festgestellt, wie es im Inneren um den Stoffwechsel bestellt ist: Gibt es Hinweise für ein metabolisches Syndrom, Diabetes mellitus, eine Fettstoffwechselstörung, Fettleber, Niereninsuffizienz usw.? Wie geht es der zellulären Funktion, den Mitochondrien? Gibt es einen Vitaminmangel oder einen hohen Bedarf an Mikronährstoffen usw.?
Gen-Analyse
Darüber hinaus kann es Sinn machen, über eine Gen-Analyse eine Auswahl präventiv interessanter genetischer Faktoren hinzuzuziehen, vor allem, um zu entscheiden, wie konsequent man bezüglich Verhalten oder medikamentöser Einstellung vorgehen soll. Wenn beispielsweise eine deutliche genetische Veranlagung für eine koronare Herzerkrankung vorliegt, ist es überlebenswichtig, das LDL (das ungünstige Cholesterin) auf präventiv <100 mg/dl einzustellen, um einen Herzinfarkt im Alter möglichst zu verhindern. Sind erst Zeichen der Arteriosklerose, wie Plaques in der Carotis (Halsschlagader) nachzuweisen, hat der krankmachende Prozess schon teilweise Jahrzehnte vorher begonnen, die Gefäße entzündlich zu verändern. Sind diese Folgen bereits ersichtlich, besteht das Risiko, zu Lebzeiten krank zu werden. Dem kann man rechtzeitig vorbeugen.
Auch die Bedeutung der Hormonersatztherapie (HRT, natürlich nur mit bioidentischen Hormonen) kann so besser nachvollzogen werden. Wenn es ein genetisches Risiko, beispielsweise für Osteoporose und/oder koronare Herzerkrankung, gibt, ist die HRT gut geeignet, ein frühes Manifestieren dieser Krankheiten im Alter hinauszuzögern oder sogar zu vermeiden. Mit sinkendem Spiegel der Steroidhormone, vor allem dem Östrogen, steigen insbesondere bei den Frauen im Alter die Cholesterinspiegel. Je nach Disposition und Verhaltensweise (Raucher oder Nichtraucher) kann man sich dann das Alter mit höherem LDL leisten oder nicht.
Genauso beim Knochenstoffwechsel. Wenn es eine genetische Disposition zur Osteoporose gibt, ist es wichtig, nach dem Ende der Monatsblutung die HRT mit transdermalem Östradiol (Creme oder Gel auf die Haut) und oralem oder vaginalem Progesteron zu nutzen, um den Prozess der Entmineralisierung des Knochens, der ohne diese Hormone automatisch beschleunigt wird, abzuschwächen. In den 10 Jahren nach der letzten Blutung verliert jede Frau ohne HRT 30 % ihrer Knochendichte. Wenn sie also 50 ist und schon bei Eintritt in die Postmenopause wegen Vitamin-D-Mangel eine Osteopenie hat, kann sie sich diesen „natürlichen“ Absturz nicht leisten, und wenn sie nur lange genug lebt, wird sie schmerzhaft die kompletten Folgen der Osteoporose mit Wirbelkörper- und Schenkelhalsfrakturen erleiden. Stellt man dagegen den Stoffwechsel ein, mit u. a. Vitamin D, Calcium, Magnesium, Vitamin K2, Vitamin B12, Östradiol und Progesteron, ggf. auch mit DHEA, macht Sport mit bestimmten Übungen zur Stärkung der Muskulatur, achtet auf das Gewicht (auch nicht zu dünn) und hört auf zu rauchen, kann man den Prozess des Knochenschwunds messbar hinauszögern oder sogar stabilisieren.
Auch Männer haben genauso wie Frauen im Alter einen Verlust ihrer Hormonproduktion, vor allem des Testosterons. Chronischer Stress, mit einem Anstieg des Cortisols – unserem Hauptstresshormon –, den viele berufstätige Männer um die 50 Jahre haben, verstärkt den Testosteronmangel noch mehr. Auch dies hat je nach Ausprägung und genetischer Veranlagung neben dem Abfall der Libido auch krankmachende Folgen. Wird bei Vorliegen zum Beispiel einer Disposition zum metabolischen Syndrom mit Adipositas, Fettleber, Bluthochdruck und Insulinresistenz, der Testosteronmangel noch verstärkt, durch die vermehrte Umwandlung im Bauchfett in Östrogen, führt das zu noch mehr Bauchfett und ggf. auch zu einer Prostatavergrößerung. Der Teufelskreis beginnt …
Rechtzeitig handeln
Auf viele Faktoren, die dieses „Setting“ günstig oder ungünstig beeinflussen können, kann man über Verhaltensänderung, aber auch über die Einstellung des Stoffwechsels Einfluss nehmen und diese gestalten. Wenn die Menschen ihre Fakten richtig erklärt bekommen und sie verstehen, wie das mit dem Alter, den Krankheiten und der Funktion zusammenhängt, ist auch die Bereitschaft etwas zu tun viel größer.
Mit Feststellung des IST-Zustandes, des Hormonhaushaltes, eines orthomolekularen Risikoprofils und ggf. auch einer ergänzenden Gen-Analyse ist es heute schon möglich ganz individuell und fein den Menschen mit einer lebensbegleitenden Medizin im Sinne von „möglichst lange gesund bleiben“ zu beraten und zu behandeln. Viele Fragen sind noch offen, aber einige Antworten gibt es schon, wenn man sie denn möchte.