Es ist verflixt: Wir möchten gern – gesund – alt werden, aber wenn wir dann so richtig alt sind und etwas oder sehr krank, macht es doch keinen Spaß, alt zu sein. Und mit „alt“ meine ich jetzt nicht 70 Jahre, sondern eher über 85 Jahre.
Die Wahrheit ist, wir benötigen viel Mut und Stärke, um das Altsein in einem Körper, der nicht mehr macht, was er mal konnte, mental und emotional zu ertragen, denn es ist schon sehr speziell, was in der heutigen Zeit mit uns Menschen passiert, wenn wir wirklich alt sind. Der Körper nervt, er kann nicht mehr, er ist müde, schmerzt, die Sinne schwinden, man stürzt und viele, die man geliebt hat, sind schon verstorben. Man fühlt sich allein, auch wenn viele Menschen um einen da sind, aber die langjährigen Lebensbegleiter, der Partner, die Ehefrau, die beste Freundin oder der geschätzte Schulfreund sind weg. Ganz schlimm ist es, wenn man nicht mehr allein zu Hause zurechtkommt. Das ist besonders unangenehm, wenn man sein ganzes Leben allein gemeistert hat, stark war und sehr gesund gelebt hat. Wenn man dann plötzlich doch in hohem Alter auf fremde Hilfe angewiesen ist, sei es, weil man nicht mehr laufen kann, weil man nicht mehr sehen oder denken kann, fühlt es sich ungerecht an und wie eine Strafe. Man hatte anders „gerechnet“ und sich doch immer so sehr Mühe gegeben. Gerade, wenn alles bisher ganz gut gelaufen ist, kann man sich gar nicht vorstellen, wie es ist, plötzlich eines Tages nicht mehr zu funktionieren. So haben sich die meisten, die bis in die 80er fit waren, ihre letzte Zeit auf Erden nicht vorgestellt.
Was läuft da schief?
Die Antwort ist, es läuft gar nichts schief, es läuft „super“. Wir werden in der heutigen Zeit ca. 79 (Männer) und 84 (Frauen) Jahre alt – im Durchschnitt. Das heißt, es gibt auch sehr viele noch Ältere. Mit unserem gesunden Verhalten leben wir immer länger (ca. um die 10 Jahre kann man damit rausholen) und vieles ist mit der heutigen Medizin einfach sehr gut behandelbar. Trotzdem bleiben statistisch die letzten 10 Jahre vor dem Tod von chronischen Alterskrankheiten geprägt. Da hilft bisher alles nichts, wir altern irgendwann sichtbar und spürbar, egal, wie gesund wir leben und gelebt haben. Auch Menschen, die nie geraucht haben, immer Gemüse gegessen und Sport gemacht haben, können im Alter einen Krebs, einen Schlaganfall, eine Osteoporose und/oder eine Demenz bekommen. Sie müssen nur lange genug leben, um das genetisch körperlich angelegte Alters-Ende zu erleben.
Warum schreibe ich das? Ich bin doch gerade eine von denen, die in ihrer Praxis sehr viel „gesundes Verhalten“ propagiert: nicht Rauchen, wenn es geht Sport machen, wenig Alkohol, wenig Zucker und viele „gesunde“ Stoffe in Kapselform einnehmen, die die zelluläre Funktion im Alterungsprozess erhalten sollen. Das stimmt, ich bleibe auch dabei, dass alle diese präventiven Verhaltensweisen, Methoden und Mittel wichtig sind, um überhaupt relativ gut funktionierend alt zu werden, aber man darf nicht den Fehler machen zu glauben, dass wenn wir heute brav sind und alles „richtig“ machen, dass dann das „Morgen“ gut funktionierend sicher ist. So ist es leider nicht.
Im Prinzip muss man sich jeden Tag bewusst machen, dass ab dem 50., spätestens ab dem 60. Lebensjahr jeder Tag, der nicht auf die eine oder andere Weise körperlich schlimm ist, ein guter Tag ist. Um dem Alter irgendwie, so was, wie gewachsen zu sein, braucht es neben der sinnvollen körperlichen gesunden Fürsorge und einem guten Gefühlsmanagement unbedingt auch ein mentales Gerüst, eine vernünftige Geisteshaltung, um mutig, dem was kommt, auch in die Augen schauen zu können. Man darf es nicht persönlich nehmen, wenn die Krankheit einen überrascht. Man sollte seine Erwartungen an das Ende auch bescheiden halten und nicht naiv glauben, dass die Endlichkeit nur die anderen betrifft und nicht einen selbst. Täglich sehen und hören wir in den Medien, was da in der Welt Fürchterliches mit den Menschen passiert. Nur hier in Europa und in Teilen von einigen anderen Ländern, wie zum Beispiel USA, Canada, Australien und vielleicht auch Japan, können wir uns dem Glauben hingeben, den Weg zum Tod „unverletzt“ zu beschreiten, aber am Ende ist dann doch der Tod der auch uns erwartet. Wie geht das Sterben? Dieser Übergang? Geht das gesund? Das ist nicht meine aktuelle Erfahrung. Es braucht hier in Deutschland – in dieser großen Stadt – auf jeden Fall einen sehr kranken Körper um dem Sterben näher zu kommen. Das dann wirkliche Gehen ist aber schwer, da so vieles auch medizinisch zu behandeln ist. Ich höre selten, dass der Übergang friedlich zu Hause geschehen ist. Es hat den Anschein, dass auch Sterben gelernt sein will. Dieses Gehen und Loslassen können, fällt hier in Deutschland schwer.
Was tun?
Machen wir uns bewusst: Es ist eine Phase, die zu unserer menschlichen Entwicklung gehört. Wir haben sehr viel geschafft. Früher wurde an allen möglichen akuten Problemen schnell gestorben, jetzt ist all das behandelbar. Neue altersbedingte Probleme, wie Herzkreislauferkrankungen und Krebs waren mal schlimm und führten oft akut zum Tode, sind aber jetzt auch sehr gut behandelbar und es wird immer weniger sofort dran gestorben. Also schaffen wir hier mit unserer modernen Medizin, im Frieden, mit Bildung und unseren sozialen Systemen alle relativ gut die 70-80 Jahre, aber da hängt unser aktueller Entwicklungsprozess jetzt fest. Es wird nicht mehr akut gestorben, was bleibt, ist ein chronisch kranker Zustand, der dann sehr oft in dem Krankheitsbild der Demenz endet. Für das nicht funktionierende Gehirn haben wir noch keine spezifische Therapie. Was aber, wenn diese Demenz-Problematik auch gelöst wird? Und wenn dazu noch die Verjüngungsforschung aus Silicon Valley oder China gut funktionierende Methoden für alle findet, die helfen, das Altern per se zu stoppen? Dann können wir damit rechnen, das Altern wirklich anders zu erleben. Aber wie wird dann noch gestorben? Diese Forschungen verändern unsere Gesellschaft, sie wird sich Antworten einfallen lassen müssen. Wenn wir alt noch länger relativ fit leben, was machen wir Alten dann den ganzen Tag? Wie soll das finanziert werden? Wo ist der richtige Platz in der Gesellschaft? Nur konsumieren und reisen und den Jungen noch länger sagen, wie sie es tun sollen? Wie soll dann zusammengelebt werden? Diese Fragen müssen geklärt werden. Warum leben wir? Was ist das Ziel in unserem Leben? Reicht es einfach zu sein? Es wird auch noch ungerechter werden, denn nicht alle werden sich das gesunde Altsein leisten können.
Fakt ist, dass wenn der Körper gut gepflegt wurde, der Zustand natürlich viel besser ist, um dann mit mehr Kraft und Energie das Schicksal im Alter zu meistern. Das ist gut, das macht Sinn, aber ich erlebe auch, dass viele, die alles perfekt machen wollen, gar nicht mehr richtig ihr Leben leben, weil das gesunde Verhalten so viel Zeit und Raum einnimmt. Es entsteht – vor allem durch die Medien, die immer vehementer verkünden, was man alles tun kann oder muss, – auch ein schlechtes Gewissen oder die Angst, nicht alles richtig zu machen. Es wird so viel Energie und Kraft auf die Zukunft gelegt, dass für das Hier und Jetzt manchmal gar keine Energie mehr übrig bleibt, um mit Freude im Hier und Jetzt zu leben. Ganz schlimm ist es, wenn das „Jetzt“ für die Zukunft „geopfert“ wurde und man dann doch das Altsein durchfühlen und durchleben muss.
Was braucht es also?
Es braucht neben einer sinnvollen und am besten spezifischen gesunden Unterstützung des Körpers auch unbedingt eine Haltung zum Leben und Sterben, die sich in Deutschland nochmal verändern muss. Es braucht auch die Unterstützung von Geist und Seele, um gern zu leben und dann auch in Frieden zu gehen. Was macht glücklich, was belebt den Geist, was lässt den Motor in unserem Inneren laufen, auch wenn der Körper mal nicht das macht, was uns gefällt?
Ich bin in meiner Arbeit ein großer Fan von körperlicher stofflicher Gestaltung und „Kontrolle“, aber das ist nicht alles. Wir benötigen ein Gleichgewicht zwischen der Gegenwart und der Zukunft. Und während man macht und tut und hofft, gilt es tapfer zu bleiben, auch wenn die Dinge nicht so laufen, wie man sich es vorgestellt hat. Aber egal, was kommt, je mehr Wissen man hat, je fähiger man ist zu reagieren und dann zu agieren, desto besser kommt man mit der Zukunft zurecht, aber erzwingen kann man sie bisher nicht.
Wichtig ist es, das Schicksal und die Zukunft nicht so persönlich nehmen: Wir sind nicht schuld, wenn der Körper versagt, es ist bisher unser Schicksal, endlich zu sein und zu sterben. Das gilt es anzunehmen, dann hat man die Kraft, im Hier und Jetzt alles zu tun, um das Morgen zum Guten zu verändern, auch wenn dies ein aufwendiger und manchmal harter Weg ist.